Seite 81 - Kontaktlinse 01-2012

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Das letzte Wort
Im neuen Adventskalender des Verlages ‚Andere Zeiten’ habe ich folgende Weihnachtsgeschichte
gefunden:
Der Gorilla an der Krippe
Unsere Krippe hat mein Mann in unsere Ehe
gebracht, völlig nichtsahnend von den dar-
aus entstehenden Komplikationen. Die Krippe
stammt aus seiner norddeutschen Heimat und
sieht eigentlich nicht nach Bethlehem aus, son-
dern, nun ja, nach Brunsbüttel-Schmedeswurth.
Sie ist von dichtem Wald umgeben, und öfter
schauen dessen Bewohner, Reh, Hirsch, Hase
und Eichhörnchen im Stall vorbei. Wir haben uns
angewöhnt, dass die Krippe am ersten Advent
feierlich hervorgekramt wird, und nach und nach
treffen die Bewohner ein, als erstes ein Ochse
als mutmaßlicher Dauerbewohner. So dachte
ich mir das. Doch immer öfter kam es vor, dass,
wenn ich der Krippe den Rücken zukehrte, selt-
same Gestalten sich dort niederließen. Der Ele-
fant ging ja irgendwie noch, aber der Pinguin,
der Gorilla, das Stinktier und das Walross, das
es sich in der noch leeren Krippe gemütlich
machte, das fand ich doch eher unpassend.
Doch sooft ich auch einen Platzverweis erteilte
und das Getier in die Wildnis zurückschickte, sie
tauchten sofort wieder auf, wenn ich der Krip-
pe den Rücken kehrte. Bald herrschte im Stall
eine Artenvielfalt und bedrängende Enge wie auf
der Arche Noah. Es tauchten noch andere Din-
ge auf, die meiner Ansicht nach nichts im Stall
von Bethlehem zu suchen hatten. Das Dach des
Stalles wurde mit Schnullern dekoriert; das Inne-
re mit Windeln ausgelegt, und neben den Bäu-
men wuchsen Milchflaschen empor, um die sich
die endlich eingetroffenen Heiligen Drei Könige
ängstlich herummogeln mussten. Die Schafe
bekamen ein Gatter aus Legosteinen. Nur der
Stern schwebte unbedrängt über der seltsamen
Szenerie – an ihn kam meine Tochter nicht ran.
So geht es nicht weiter. Ich stelle meine Toch-
ter zur Rede. Zwei große runde Augen gucken
mich vorwurfsvoll an, und meine Tochter sagt:
“Mama, du hast selbst gesagt, an die Krippe
dürfen alle kommen. Also auch Pinguine, Goril-
las und Stinktiere.“ Ich stottere noch ein mattes
„Von einem Gorilla war aber nie die Rede“ he-
raus, aber ich weiß: Ich habe verloren. Unsere
Gäste schauen jetzt manchmal etwas indigniert
auf unsere seltsame Weihnachtskrippe – aber
na ja, was soll man schon sagen, wenn sie in ei-
nem Pfarrhaus steht, wird es schon seine Rich-
tigkeit haben. Hat es auch. Endlich Frieden.
Monika Lehmann-Etzelmüller
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen einen
guten Start ins neue Jahr mit Ihren Kindern
und genügend Gelassenheit, wenn nicht alles
so läuft wie geplant.
Für die Redaktion
Angelika Wormsbächer